Ein Sieg des unbändigen Willens
Ostsachsen-Pokal: HVH Kamenz vs. HVO Cunewalde II 29:27 (16:11)
Tage wie dieser. Da kann eine vom Himmel herabschwebende Feder entweder Pralinenschachteln öffnen oder achtlos am Wegesrand dahinliegen. Die geschundene Seele des HVH lechzt schon geraume Zeit nach einem Glücksmoment; gerade jetzt, da ein höherklassig agierender Junioren-Nachwuchs viel Anlass zu der Hoffnung verleiht, es könne nach Jahren der Stagnation wieder aufwärts gehen. In der abgelaufenen Saison blieb dieser Wunsch unerfüllt; die schwere Verletzung von Torjäger Martin Kaiser am 3. Spieltag gegen die SG Sohland/Friedersdorf war nicht zu kompensieren. Am Ende schenkte Alexander Miehles Mannschaft noch eine bessere Endplatzierung ab – Bittermandeln statt Nougat.
Der Einzug ins Pokalendspiel öffnete die Hintertür eines versöhnlichen Halalis, das dann eben auch Signalwirkung für die Nachwuchsakteure haben kann. Doch der Kontrahent war aus härtestem Holz: Cupverteidiger HVO Cunewalde II hatte sich in der Liga-Spielzeit 2024/25 nur zweimal geschlagen gegeben (bei Radeberg II sowie in Sagar) und auch in den beiden sehr engen Matches gegen den HVH nicht entscheidend gepatzt (28:27 und 29:29). Fraglos reisten die Recken vom Czorneboh als Favorit in die Bierstadt.
An Tagen wie diesen braucht es dann halt auch ein bisschen Glück. Wie zum Beispiel, dass dem Gegner mit Tom Kaiser ihr wichtigster Schütze – mit 144 Treffern Zweiter in der Torschützenliste hinter Kilian Cornel Gurlit von Lok Schleife – wegen einer Sperre nicht zur Verfügung stand. Also keine „Kaiser-Mania“ auf dem Handballparkett am Robert-Blum-Weg: Mit den beiden Kaisers hätte der Fight um den Pott noch ganz andere Spannungsdimensionen angenommen. Aber geschwächt war der Meister und Aufsteiger dadurch höchstens punktuell; gegenüber dem Punkte-Remis im Februar rückten der routinierte Linksaußen Stefan Zahnow sowie das Nachwuchstalent David Werner in den Kader. Zahnow hatte so gut wie gar keine Punktspiele bestritten, weil er sich laut eigener Aussage vermehrt der Familie widmen will; wenn er freilich aufläuft, droht Gefahr, die er auch mit seinen 7 Finaltoren (davon 4 Siebenmeter) dokumentierte. Und Werner? Ein Supertalent, das erst mit 14 anfing, Handball zu spielen, und zuletzt von Stahl Rietschen an das Cunewalder Wasser wechselte.
Doch der HVH ließ sich von diesen Personalien nicht beirren: „Wir sind gewappnet“, hieß es noch kurz vor dem Anpfiff aus dem Vorstand, ergo vorbereitet und extrem motiviert. Die Grün-Schwarzen wie ihr Anhang trauten ihren Sinnen kaum, als es nach siebeneinhalb Minuten 5:1 für die Miehle-Sieben stand.
Der Matchverlauf wird zeigen, dass dieser Blitzstart von gravierender Wichtigkeit sein sollte. Denn natürlich lieferten sich die Mannen von Richard Schulze keinem Debakel aus; sie waren in diesem ersten Abschnitt nur nicht ganz auf der Höhe. Und der HVH nutzte das konsquent aus, brillierte im Team wie auch mit spektakulären Einzelaktionen, wozu Kay Tomschkes Megaparade gegen HVO-Linksaußen Raik Schädlich in der 5. Minute ebenso zählte wie der magische Moment, welcher in der Minute 26 folgen sollte: Nach Balleroberung bot sich eine Chance zum Konter. Aber Tomschkes Pass auf Nicolas Herrmann über die Länge des Feldes geriet zu ungenau. Der von der Tatsache gewurmte Youngster, bislang noch nicht zur Torbilanz beigetragen zu haben, jagte dem Spielgerät im Tollhaussprint hinterher, erwischte es im Fallen und bugsierte es per Rückhandwurf (!) in die Maschen – ein Treffer des gigantischen Willens (zum 13:10)! Wie schon gesagt: Ein bisschen Fortüne braucht es an Tagen wie diesem auch. Es gibt Schiedsrichter, die den Treffer „einkassiert“ hätten, denn Herrmann hatte bei seinem artistischen Einnetzer mit wohl nicht nur einem Körperteil die verbotene Kreiszone berührt. Das Duo Fährmann/Rentsch drückte beide Augen zu. Und zu den Glückskomponenten zählte sicher auch, dass HVO-Legende Daniel Kästner nicht seinen allerbesten Tag erwischt hatte; der prima Typ mit Zweitliga-Erfahrung suchte zwar wie gewohnt permanent nach Lösungen, fand aber zu selten welche, und zwei eigene Treffer sind gleichwohl unter seinem Schnitt. Der im Frühjahr mit starken Leistungen auffällig gewordene und auch diesmal blendend aufgelegte Lukas Rietschel besorgte den 16:11-Pausenstand für die Kamenz-Haselbachtaler.
Die Kabinenpredigt der Oberländler muss deftig ausgefallen sein; sie kamen nicht nur mit neuem Schwung, sondern verändertem Abwehrverhalten aufs Parkett zurück; HVH’s Pascal Freudenberg und auch Herrmann wurden in Manndeckung genommen. Das zeitigte rasch Wirkung, denn der Vorsprung schmolz wie Konfekt im vorgeheizten Backofen. Fast im Alleingang warf der im ersten Abschnitt torlos gebliebene Werner seine Farben auf 15:17 (39. min) heran. Doch die Lessingstädter blieben ihrer von Beginn an praktizierten Linie treu, suchten immer wieder im Mann-gegen-Mann-Clinch den Weg an die Kreislinie, und die diesbezüglich erstaunlich anfällige Cunewalder Defensive fand dagegen kein Mittel, oder nur das des Foulspiels: Zehn HVH Siebenmeter, davon neun verwandelt. Und Miehle zog auch den richtigen Joker für solche Situationen aus dem Ärmel: Patrick Hübner schwang sich zum großen Helden des zweiten Durchgangs auf. Noch so ein Kleeblattmomentum: Der 35-Jährige hatte zuletzt mehrfach arbeitsbedingt gefehlt und konnte sich auch für dieses Endspiel nur kurz vor knapp freimachen. Das mit dem Glück soll wahrlich nicht überstrapaziert werden – es gehört sowieso dem Tüchtigen. Aber es ist eben nicht alle Tage präsent. Der HVH hielt seinen Vorsprung, u.a. auch, weil Dennis Oswald seine robusten Deckungsaufgaben dieses Mal diszipliniert erledigte, die Partie sogar ohne Zeitstrafe überstand. Sein Coach hatte ihm diesbezüglich vor dem Anpfiff ins Gewissen geredet … auch das ein Chocolissimo auf dem Weg zum Triumph. Der dennoch akut gefährdet schien, als der HVO-Reserve in der Schlussphase dreimal der Anschlusstreffer gelang (zuletzt Paul Wagner zum 27:28/59. min). Doch beim Gegenangriff schwächte sich Cunewalde per Zeitstrafe plus Strafwurf, den der nervenstarke Henning Schäfer zur endgültigen Entscheidung nutzte.
Nach dem Abpfiff kannte der Jubel in Blau und Weiß keine Grenzen, fiel eine große Last speziell von den Schultern des für die sportlichen Belange zuständigen Kay Tomschke. Nach übereinstimmenden Medienberichten wurde bis tief in die Nacht gefeiert, und zwar nicht mit Pralinen. Aber die Schachtel ist, rein symbolisch betrachtet, geöffnet; dem Coup von Radeberg muss auch im Ligabetrieb ein Schritt nach vorn folgen. Im nächsten Semester steht Martin Kaiser wieder zur Verfügung, was das Aufstiegsziel realistischer werden lässt. Darauf eine Mozartkugel…
HVH Kamenz: Tomschke, Hedermann; Rietschel (7), Schäfer (7/davon 6 Siebenmeter), P. Hübner (5), Freudenberg (4/3), Herrmann (2), Oswald (2), Pöhland (2), Franke, Kunath, D. Magister
HVO Cunewalde II: Bluhm, Huschenbett; Werner (7), Zahnow (7/4), Schädlich (4/2), Kästner (2), Sieber (2), Pursche (2), Zimmermann (1), Wagner (1), Lehmann (1), Sutor, Seidel, Pietruske
Text & Fotos: Old Fred